Viele Ärztinnen und Ärzte für Homöopathie und Anthroposophie sind in den letzten Tagen verunsichert und melden sich beim Homoeopathiewatchblog. Grund dafür ist der Beschluss des Grünen-Parteitages vom 28. November 2025 – und die Art, wie ärztliche Fachverbände ihn darstellen.
Ein Arzt schreibt mir beispielsweise: „Ich frage mich zunehmend, ob mein Verband wirklich offen mit uns kommuniziert. Der Eindruck drängt sich auf, dass kritische Informationen zurückgehalten werden. Manchmal habe ich das Gefühl, diese Zurückhaltung soll vor allem verdecken, dass politisch kaum etwas beim Verband passiert. Am Ende zahle ich weiter meine Beiträge, immerhin 250 Euro im Jahr, ohne zu wissen, ob mein Verband überhaupt aktiv für unsere Interessen einsteht.“
Zwei Verbände äußerten sich kürzlich: Ein homöopathischer Arztverband schrieb, es gäbe „weder eine unmittelbare Auswirkung auf unsere Praxen noch für unsere Patienten“. Eine anthroposophisch geprägte Organisation betonte „keine direkten Auswirkungen auf die Erstattungsfähigkeit“, verwies aber auf eine „deutlich ablehnende innerparteiliche Positionierung“. Beide erwähnten den Binnenkonsens im Arzneimittelgesetz nicht – obwohl er die Grundlage für rund 7.500 Arzneimittel bildet, die in der täglichen Praxis genutzt werden.
Als Journalist bin ich dazu da, Fakten darzustellen und eine Einordnung auf Basis von Kriterien zu treffen, die nachvollziehbar sind. Diese Fakten können natürlich schmerzlich sein. Aber sie deswegen zu verschweigen, wäre fahrlässig. Das wäre so, als würde ein Patient mit einem verletzten Finger zum Arzt gehen. Dieser würde bei der Behandlung entdecken, dass der Patient auf dem Rücken ein Pigmentmal hat, bei dem der Arzt zu einer weiteren Untersuchung raten sollte. Ein Arzt würde seinem Patienten das auf dem Rücken entdeckte Mal auch nicht verschweigen (dürfen), genauso wie ein Journalist alle Fakten zum Grünen-Beschluss darstellen muss:
Die beiden Kernpunkte des Parteitagsbeschlusses
- Homöopathische Leistungen sollen von den gesetzlichen Krankenkassen nicht mehr erstattet werden.
- Der Binnenkonsens im Arzneimittelgesetz soll „überarbeitet“ werden, d.h abgeschafft. Betroffen sind Homöopathie und Anthroposophie sowie Teile der Phytotherapie
Die Kassenleistung betrifft primär die Abrechnung. Der Binnenkonsens ist jedoch entscheidend: Er sichert die Zulassung homöopathischer, anthroposophischer und bestimmter pflanzlicher Arzneimittel. Ohne ihn verlieren viele Präparate ihren Arzneimittelstatus.
Warum der Binnenkonsens für die Praxis entscheidend ist
Der Binnenkonsens wurde in den 1970er Jahren im Arzneimittelgesetz verankert, um Therapierichtungen mit eigenständigen Erkenntnismodellen zu schützen. Er regelt, dass homöopathische, anthroposophische und zahlreiche pflanzliche Arzneimittel nicht nach den gleichen Kriterien registriert bzw. zugelassen werden müssen wie synthetische Wirkstoffe. Ohne diese Regelung gäbe es viele dieser Produkte nicht mehr im regulären Apothekenmarkt.
Aktuell umfasst dieser Bereich rund 7.500 Arzneimittel (inklusive aller Darreichungsformen). Sie sind klar gekennzeichnet, apothekenpflichtig, rückverfolgbar und werden nach einheitlichen Standards hergestellt. Fiele der Binnenkonsens weg, gäbe es diese Struktur nicht mehr.
Verbandsaussagen vs. Fakten
Die Fachverbände beruhigen ihre Mitglieder, verschweigen aber zentrale Aspekte:
- Keine unmittelbaren Auswirkungen? Richtig: Die aktuelle Praxis bleibt unverändert. Aber langfristig wäre die Verfügbarkeit vieler Präparate gefährdet.
- Keine Auswirkungen auf die Erstattung? Falsch: Die Kassenleistung soll gestrichen werden, sobald der Beschluss zum Gesetz wird.
- Nur Auswirkung auf die Homöopathie und nicht auf die Anthroposophie? Falsch: Würde der Binnenkonsens abgeschafft werden, wie der Beschluss es vorsieht, würden Homöopathie und Anthroposophie den Arzneimittelstatus verlieren und nicht mehr in Apotheken verfügbar sein.
- Binnenkonsens wird von den Arztverbänden nicht erwähnt – er ist aber entscheidend für die rechtliche Grundlage und die Versorgung mit Präparaten der Homöopathie und Anthroposophie sowie Teilen der Phytotherapie
Mögliche Folgen für Ärzte und Patienten
- Behandlungspläne könnten nicht mehr vollständig umgesetzt werden.
- Geprüfte Präparate würden wegfallen.
- Empfehlungen nicht zugelassener Mittel würden rechtlich riskant.
- Versorgung könnte in weniger regulierte Bereiche ausweichen – mit Qualitätsverlust.
Die Auswirkungen betreffen sowohl die tägliche therapeutische Arbeit als auch die rechtliche Absicherung.
Was jetzt wichtig ist
Der Parteitagsbeschluss ist noch kein Gesetz. Die bestehenden Strukturen und Zulassungen bleiben unverändert. Ob der Beschluss später Gesetz wird, hängt von politischen Entscheidungen und auch dem Engagement der homöopathischen und anthroposophischen Verbände ab.
Ärztinnen und Ärzte sollten:
- Entwicklungen aufmerksam verfolgen
- Patientinnen und Patienten sachlich informieren
- Politisch aktive Verbände unterstützen
- Frühzeitig politische Ansprechpartner einbeziehen
- Die Bedeutung des Binnenkonsenses in der Praxis erklären
Fazit
Der Grünen-Parteitagsbeschluss ist ein politisches Signal, keine gesetzliche Änderung. Eine reale Gefahr für den Binnenkonsens entsteht erst, wenn ein Gesetz diesen tatsächlich angreift. Bis dahin können sich Ärztinnen und Ärzte für Homöopathie und Anthroposophie mit mehreren zuverlässigen Quellen sachlich informieren, Patienten aufklären und sich aktiv einbringen.

