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Blogger schreibt Brief an Bundeskanzler Merz zur Homöopathie-Debatte – mit der Bitte um Stellungnahme zu drei Fragen

Während die meisten zwischen den Jahren durchschnaufen, dreht sich im politischen Berlin weiter das Rad: Staatsminister Thorsten Frei spricht über mögliche Leistungskürzungen im Gesundheitswesen. Und die Vorsitzende des Sachverständigenrats erklärt Homöopathie kurzerhand zur verzichtbaren, „nicht evidenzbasierten“ Leistung. (siehe Bericht im Homoeopathiewatchblog, 25.12.)

Das passt in die Weihnachtszeit. Wenig Aufmerksamkeit. Große Entscheidungen.

Der Homoeopathiewatchblog hat deshalb einen Brief an Bundeskanzler Friedrich Merz geschickt. Sachlich, nachprüfbar, mit Quellen. Kernfrage: Wird hier wirklich über Einsparlogik gesprochen – oder über ein Symbolthema?

Denn: Die oft zitierten 20 Millionen Euro Homöopathie-Ausgaben der Krankenkassen (Zahl von Jens Spahn, 2019) stehen in keinem Verhältnis zu den Summen, die an anderer Stelle auf dem Tisch liegen. Die Techniker Krankenkasse zeigt in ihrem 10-Punkte-Plan Einsparpotenziale von mehreren Milliarden Euro pro Jahr – ohne Leistungen zu streichen.

Zweiter Punkt an Merz: die Evidenz-Behauptung. „Nicht evidenzbasiert“ klingt einfach – ist es aber nicht. Eine aktuelle Übersichtsarbeit von Hamre et al. (2023) fasst Meta-Analysen zu placebokontrollierten Studien zusammen. Ergebnis: In der Mehrzahl der analysierten Arbeiten zeigen sich signifikant positive Effekte von Homöopathie gegenüber Placebo. Dazu kommt: Evidenzbasierte Medizin umfasst nicht nur Studien, sondern auch klinische Erfahrung und Patientenpräferenzen.

Und schließlich der dritte Punkt: das Timing. Ausgerechnet in der Weihnachtszeit wird die Debatte verschärft. Parallel dazu erklärte Jan Böhmermann Homöopathie im TV zum Einsparmodell – worauf 742 Programmbeschwerden von Watchblog-Lesern folgten.

Der Brief endet mit drei konkreten Fragen an den Kanzler:
1. Welche wissenschaftliche Basis nutzt die Bundesregierung?
2. Nach welchen Kriterien gelten Leistungen als „kürzbar“?
3. Und wie soll eine faire öffentliche Debatte über die Weihnachtszeit gewährleistet werden?

Der Watchblog wird die Antwort veröffentlichen.
Und unter diesem Artikel finden Sie den Brief in voller Länge – 1:1 dokumentiert.

 


Von: „christian.j.becker.redaktion@homoeopathiewatchblog.de“ <christian.j.becker.redaktion@homoeopathiewatchblog.de>
Betreff: Sachliche Nachfrage zur Homöopathie-Debatte und Bitte um Stellungnahme des Bundeskanzleramts
Datum: 26. Dezember 2025 um 03:37:01 MEZ
An: presse@bk.bund.de
Kopie: friedrich.merz@bundestag.de, presse@bundesregierung.de, presse@svr-wirtschaft.de

 

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler,

in den vergangenen Tagen wurde in Interviews und Stellungnahmen über mögliche Leistungskürzungen im Gesundheitssystem diskutiert – unter anderem durch Aussagen von Staatsminister Thorsten Frei. Parallel hat die Vorsitzende des Sachverständigenrats, Prof. Dr. Monika Schnitzer, die Homöopathie in diesem Zusammenhang als verzichtbare und „nicht evidenzbasierte“ Leistung eingeordnet. Diese Konstellation prägt aktuell die öffentliche Debatte.

Sie haben in Ihrer Kommunikation wiederholt betont, Politik müsse Verantwortung übernehmen und dem Menschen dienen. Sie sagten: „Es geht … um Freiheit, um Frieden, um Sicherheit und um Wohlstand unseres ganzen Kontinents. In diesem Geiste fühlen wir uns Deutschland und Europa verpflichtet.“

Diesen Anspruch halte ich auch für die gesundheitspolitische Bewertung der Homöopathie für maßgeblich.

Als Gesundheitsjournalist, Homöopathie-Anwender und Redakteur des Homoeopathiewatchblog (1 Million Seitenaufrufe in 2025) möchte ich drei Punkte sachlich einordnen und um Stellungnahme bitten.

1) Journalistische Perspektive – Relationen und Alternativen

In Medien und politischen Diskussionen wird häufig ein Einsparpotenzial von rund 20 Millionen Euro genannt, das sich ergäbe, wenn homöopathische Leistungen nicht mehr über Krankenkassen erstattet würden. Diese Zahl geht auf eine Aussage von Jens Spahn aus dem Jahr 2019 zurück, wonach die gesetzlichen Kassen bei Arzneiausgaben von etwa 40 Milliarden Euro jährlich rund 20 Millionen Euro für Homöopathie aufwenden.

Gleichzeitig nutzen über 30 Millionen Menschen in Deutschland homöopathische Angebote.

Der „10-Punkte-Plan gegen steigende Kassenbeiträge“ der Techniker Krankenkasse (2025) zeigt, dass ohne Leistungskürzungen deutlich größere Einsparpotenziale bestehen, etwa:

• mehr als 3 Milliarden Euro jährlich durch eine höhere Herstellerbeteiligung bei patentgeschützten Arzneimitteln
• bis zu 850 Millionen Euro jährlich durch effizientere Ausschreibungen bei Heil- und Hilfsmitteln
• mehrere hundert Millionen Euro jährlich durch bessere Koordination, Digitalisierung und die Vermeidung von Doppeluntersuchungen

Fazit: Vor diesem Hintergrund wirkt die Fokussierung auf die Homöopathie als Sparinstrument weder verhältnismäßig noch strategisch zwingend.

2) Patientensicht – Evidenz, Studienlage und internationale Einordnung

Die pauschale Aussage, Homöopathie sei „nicht evidenzbasiert“, verengt den Evidenzbegriff und blendet einen erheblichen Teil der Forschung aus.

Eine aktuelle systematische Übersicht aller Meta-Analysen zu placebokontrollierten, randomisierten homöopathischen Studien von Hamre et al. (2023) stellte fest, dass in den betrachteten Meta-Analysen in der Mehrzahl signifikant positive Effekte von Homöopathie gegenüber Placebo zu sehen sind. Diese Analyse umfasst verschiedenste Indikationen und Formen homöopathischer Behandlung und bewertet sowohl Gesamt- als auch Einzeldaten.

Evidenzbasierte Medizin bedeutet nach Sackett das Zusammenspiel von
• wissenschaftlicher Evidenz,
• klinischer Erfahrung und
• Patientenpräferenzen.

Fazit: Eine Politik, die den Evidenzbegriff ausschließlich auf einzelne Studienformen reduziert, ignoriert diese etablierte Definition.

Internationale Einbindung

Schweiz: Homöopathie ist Teil des komplementärmedizinischen Angebots, das auf Basis umfassender Bewertungssysteme in die Gesundheitsversorgung integriert wurde.
Indien: Homöopathie ist im staatlichen Gesundheitssystem verankert, organisiert unter dem Ministry of AYUSH und reguliert durch die National Commission for Homoeopathy.

Fazit: Diese Beispiele belegen, dass Homöopathie international strukturiert bewertet und in Versorgungskonzepte eingebunden wird – nicht trotz Evidenzdiskussion, sondern auf deren Grundlage.

3) Zivilgesellschaftliche Perspektive – Timing und Öffentlichkeit

Sie betonen zu Recht eine verantwortungsvolle, am Menschen orientierte Politik. Umso überraschender ist die Zuspitzung der Debatte in der Weihnachtszeit, in der öffentliche Aufmerksamkeit erfahrungsgemäß geringer ist.

Hinzu kommt die mediale Wirkung: In einer Sendung von Jan Böhmermann 2019 wurde Homöopathie als „nicht evidenzbasiert“ und als Einsparmöglichkeit dargestellt. Nach Hinweisen auf eine zweite Sendung Anfang Dezember 2025 reichten Leserinnen und Leser meines Blogs daraufhin 742 Programmbeschwerden ein, wie Böhmermann später auf  Instagram bestätigte. Die ursprünglich für den 12.12. geplante Ausstrahlung wurde in dieser Form gestoppt und später am 19.12. verändert gesendet.

Fazit: Das zeigt den Wunsch nach einer fairen, sachlichen Diskussion. Und es zeigt den Wunsch von Bürgern und Wählern, sich aktiv bei Fehlentwicklungen aus ihrer Sicht an den Verursacher der Fehlentwicklung zu wenden.

Meine Bitte um Stellungnahme (gern über Ihren Pressesprecher):

  1. Auf welche konkreten wissenschaftlichen Grundlagen (Studien, Gutachten, Bewertungen) stützt die Bundesregierung ihre Einordnung der Homöopathie hinsichtlich Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit?
  2. Nach welchen klar definierten Kriterien werden Leistungen als „kürzbar“ eingestuft, und wie fließen Patientennutzen, Versorgungsrealität und realistische Einsparalternativen (z. B. Vorschläge der TK) ein?
  3. Wie will die Bundesregierung angesichts des gewählten Zeitpunkts eine offene, faire und sachliche gesellschaftliche Debatte sicherstellen?

Ich werde über Ihre Antworten transparent auf Homoeopathiewatchblog.de berichten und danke Ihnen vorab für die Rückmeldung.

Mit freundlichen Grüßen
Christian J. Becker
Gesundheitsjournalist, Homöopathie-Anwender und Redakteur des Homoeopathiewatchblog

Quellen (APA-Style)

Hamre, H. J., Glockmann, A., von Ammon, K., Riley, D. S., & Kiene, H. (2023). Efficacy of homeopathic treatment: Systematic review of meta-analyses of randomised placebo-controlled homeopathy trials for any indication. Systematic Reviews, 12(1), 191. https://doi.org/10.1186/s13643-023-02313-2 SpringerLink

Sackett, D. L., Rosenberg, W. M. C., Gray, J. A. M., Haynes, R. B., & Richardson, W. S. (1996). Evidence based medicine: What it is and what it isn’t. BMJ, 312(7023), 71–72.

Techniker Krankenkasse. (2025). 10-Punkte-Plan gegen steigende Kassenbeiträge.

Ministry of AYUSH, Government of India. AYUSH-System Overview.

National Commission for Homoeopathy (India). About NCH.

Ärzteblatt (2019). Spahn: Homöopathiekosten der Krankenkassen ca. 20 Mio. €.

Merz, F. (2025). Weihnachtsansprache.

 

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Christian J. Becker

Diplom-Oecotrophologe
Redakteur Homoeopathiewatchblog
Gesundheitsjournalist, PR-Berater, Healthcare- und Food-BloggerE-Mail redaktion@homoeopathiewatchblog.de
Hamburg:::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::

PRESSERESONANZ BLOGS  – Auswahl

• „PR-Berater, der für die Homöopathie kämpft“, Wochenzeitung Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 29.10.18
• „Ex-DocMorris-Sprecher kämpft für Homöopathie“, Gesundheitspolitisches Fachmagazin Apotheke Adhoc, 29.9.18
• „Der Hamburger PR-Berater Christian Becker, ein Verfechter der Homöopathie und Betreiber des „HomoeopathieWatchblog“, 
Wirtschaftsmagazin Wirtschaftswoche, 11.7.19
• Die Tageszeitung TAZ verlinkt den Homoeopathiewatchblog in Artikel über Petition #RetteDeineHomöopathie (14.10.19, Link)
• Gesundheitspolitisches Fachmagazin arznei-Telegramm zitiert aus Watchblog (7.6.19, Link)

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