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Ein Teil der Grünen-Basis spricht sich erstmals gegen Homöopathie und Anthroposophie aus – Signal für Parteitag und künftige Ausrichtung

Am 22. Oktober haben die Mitglieder von Bündnis 90/Die Grünen eine möglicherweise richtungsweisende Entscheidung getroffen. In einer parteiinternen Online-Abstimmung votierte ein Teil der 156.000 Parteimitglieder deutlich dafür, dass auf dem kommenden Parteitag nur ein Antrag gegen Homöopathie und Anthroposophie behandelt wird – und nicht der Gegenantrag, der sich für die Komplementärmedizin ausspricht.


Redaktionelle Aktualisierung 11.11.: Bei der Veröffentlichung dieses Artikels am 27.10. war noch nicht bekannt, wie viele Mitglieder an der Abstimmung teilgenommen haben. Am 11.11. wurde die Zahl bekannt: nur 5.000 Mitglieder von insgesamt 156.000 Parteimitgliedern haben über die Homöopathie- und andere Anträge abgestimmt. Dementsprechend habe ich den Artikel aktualisiert.


 

Die Entscheidung kam überraschend klar zustande. Die Parteimitglieder konnten über 75 Anträge aus der Rubrik „Verschiedenes“ abstimmen – darunter auch über Homöopathie – und aus ihnen sechs Topthemen auswählen. Der Antrag gegen Homöopathie landete dabei auf Platz zwei der sechs Topthemen und wird Ende November auf dem Parteitag in Hannover verhandelt und beschlossen. Es ist das erste Mal, dass sich ein Teil der Mitgliedschaft so deutlich gegen Homöopathie positioniert hat – nicht ein Parteigremium oder eine Arbeitsgruppe, sondern ein Teil der Basis selbst.

Das Thema ist mittlerweile auch Thema für die Medien: Die Zeitschrift Der Focus titelt: https://www.focusplus.de/politik/homoeopathie-sturmwarnung-an-globuli-front-vor-gruenen-parteitag-6599

Das sind die sechs Themen, die die 156.000 Grünen-Mitglieder auf dem Parteitag sehen möchten (Quelle: Antragsbuch der Grünen, Stand 27.10.):

 

Wie kam es zu dieser Entscheidung?

Seit Jahren ist die Anti-Homöopathie-Diskussion ein immer wiederkehrendes Thema auf Grünen-Parteitagen, meist begleitet von emotionalen Debatten. Bisher einigte man sich jedoch regelmäßig darauf, die Anträge nicht zur Abstimmung zu bringen, da die Positionen als zu kontrovers galten. Diesmal ist das anders: Erstmals haben die Mitglieder vorab entschieden, dass der Antrag gegen Homöopathie in die Tagesordnung aufgenommen und behandelt werden muss.

Auslöser der aktuellen Entwicklung war eine innerparteiliche Diskussion mit der Triebfeder Anti-Homöopathie-Lobby, die im Herbst an Fahrt gewann. Bereits im September (Link) hatte ich im Homoeopathiewatchblog darauf hingewiesen, dass sich die Stimmung in der Partei gegen Homöopathie wandelt und ein Anti-Antrag droht. Nach dem Lesen des Artikels startete eine Heilpraktikerin aus Norddeutschland gemeinsam mit weiteren Unterstützern eine Aktion, die in einem Parteitagsantrag für die Homöopathie durch einen Arzt für Homöopathie mündete, wie sie mir bestätigte (Link). Unterstützt wurde dieser Antrag unter anderem vom „grünen“ Minister aus BW Manfred Lucha und vom früheren Berliner Ärztekammerpräsidenten Ellis Huber. Doch das Mitglieder-Votum fiel klar gegen diesen Vorschlag aus – und machte damit den Weg frei für den Gegenantrag.

Was steht im Antrag?

Der Anti-Homöopathie-Antrag, der nun auf dem Grünen-Parteitag ab 28. November diskutiert wird, zählt zu den weitreichendsten seiner Art. Er geht sogar über die Anträge von Minister Karl Lauterbach 2024 oder des SPD-Parteitags 2025 hinaus. Der Antrag fordert, dass Homöopathie künftig nicht mehr als freiwillige Leistung der gesetzlichen Krankenkassen anerkannt wird. Darüber hinaus will er den sogenannten Binnenkonsens für homöopathische und anthroposophische Arzneimittel aufheben – ein Schritt, der in der Konsequenz einem Apothekenverbot und Abschaffung des Arzneimittelstatus gleichkäme.

Bedeutung  und Folgen

Der Parteitag der Grünen, der am 28. November in Hannover beginnt, könnte damit zu einem Wendepunkt in der gesundheitspolitischen Positionierung der Partei werden. Noch nie waren die Grünen so nahe davor, eine Anti-Homöopathie-Stimmung in der Partei in einem Parteitagsbeschluss zu konkretisieren. Zwar sind die Grünen derzeit nicht Teil der Bundesregierung, doch Beschlüsse des Parteitags sind für künftige Regierungsbeteiligungen bindend. Ein klares Votum gegen Homöopathie und Anthroposophie hätte also auch praktische Folgen, etwa bei der Ausgestaltung des Gesundheitssystems oder der gesetzlichen Krankenversicherung.

Diese Forderungen hätten spürbare Auswirkungen: auf Patientinnen und Patienten, auf Ärztinnen, Heilpraktiker, Hersteller und Apotheken. Auch die Anthroposophie wäre unmittelbar betroffen.

Eine Ausgrenzung bei der GKV hätte direkte Auswirkungen auf Patienten und Ärzte. Aber es würde auch dafür sorgen, dass insgesamt weniger Homöopathie angewendet wird, was wiederum auch die Hersteller betrifft.

Ein Apothekenverbot und die Abschaffung als Arzneimittel würden Patienten, Ärzte, Heilpraktiker und Hersteller direkt betreffen. Und der Grünen-Antrag beschreibt nicht nur die Homöopathie, sondern auch die Anthroposophie als Zielrichtung.

Was kann die Homöopathie-Gemeinschaft tun?

Folgende fünf Aktionen sind wirkungsvoll und realistisch. Für sie habe ich bereits im September geworben habe (Link):

  1. Die Homöopathie-Gemeinschaft sollte das Problem und die möglichen Folgen realistisch einschätzen. Das hat sich schon im Sommer beim SPD-Antrag bewährt.
  2. Verbände der Homöopathie können ihre politischen Kontakte im Bundestag aktivieren und sachliche Überzeugungsarbeit leisten.
  3. Organisationen der Komplementärmedizin könnten zu gemeinsamen Aktionen aufrufen, z.B. Protestschreiben mit Anschreiben und Adressen an die Landesverbände und Delegierten der Grünen, die im November abstimmen. Denkbar wäre auch eine Petition, um öffentlichen Druck auf den Parteitag aufzubauen. Beide Methoden haben schon bei Lauterbach und dem SPD-Antrag im Sommer gut funktioniert.
  4. Jeder der Homöopathie-Gemeinschaft kann sich bei den beschriebenen Aktionen (Punkt 3: Brief und Petition) mit wenig Aufwand beteiligen.
  5. Die Antragsteller des Pro-Homöopathie-Antrags können Gegenanträge/Änderungsanträge auf und für den Parteitag einbringen.

Ausblick

In den vergangenen Jahren ist es der Homöopathie-Gemeinschaft bereits mehrfach gelungen, politische Gegeninitiativen abzuwehren – etwa bei Anträgen der SPD 2025 und von Gesundheitsminister Lauterbach 2024. Grundlage des Erfolgs war, dass die Gemeinschaft erstens die Situation realistisch einschätzte und zweitens politisch und öffentlich aktiv geworden ist.

Der Parteitag Ende November wird zeigen, ob die Grünen tatsächlich einen Kurswechsel per Parteitagsbeschluss vollziehen wollen. Ich bin mir sicher, dass es der aktiven Homöopathie-Gemeinschaft erneut gelingen wird, gute und erfolgreiche Überzeugungsarbeit zu leisten.


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2 Kommentare

  1. Das die SPD schon lange das „S“ aus dem Namen streichen könnte ist bekannt, so auch Die CSU, das C und S, die CDU mittlerweile mindestens das C.
    Warum DieGrünen, die schon lange von ihrem ursprünglichem Leitbild abgewichen sind, sich -spätestens nach diesem Ereignis- noch an diesem Namensschild festhalten wollen, wirft viele Fragen auf.

    1. Wenn von etwa 75 „Verschiedenes“ Themen nur sechs durch internes Ranking zur Beratung gewählt werden können, warum wurde das Thema Homöopathie auf Platz zwei gewählt? Also vor so wichtigen grünen und zeitrelevanten Themen, wie z.B.
    V-75: Mietrecht sozial gestalten – gegen Verdrängung und soziale Spaltung!
    V-70: Raus aus der Atemlosigkeit: Mehr Bürgerbeteiligung, Stärkung der Parlamente, weniger Macht für den Bundeskanzler
    V-64: Verfassungswidriges Pflichtjahr durch die Bundesregierung stoppen – Sozialen Zusammenhalt kann man nur durch soziale Politik stärken – für die Stärkung des Freiwilligendienstes
    V-50: Kreis statt Krise: Die Kreislaufwirtschaft als Schlüssel für den Schutz natürlicher Lebensgrundlagen und industriepolitische Souveränität
    V-48 Gift für die Ewigkeit – PFAS jetzt verbieten!
    V-45: Von AfD bis Trump: Angriffe auf Zivilgesellschaft stoppen
    V-44 Abschiebehaft beenden – Menschenrechte stärken
    Es ist nicht nachvollziehbar, wieso eine Mehrheit der Mitglieder und Delegierten das Verbot der Homöopathie als freiwillige Kassenleistung dringender finden sollte, als jedes der obengenannten und vielen weiteren Themen, die unter „Verschiedenes“ gelistet sind. Das ist bizarr.

    2. Man kann nicht einsehen, wie viele Mitglieder an dieser Abstimmung teilgenommen haben. Diese intransparente Lage ist nicht hilfreich beim Einschätzen des tatsächlichen Meinungsbildes der Partei. Ist dies zum Vorteil von wem?

    3. Warum wurden beide Homöopathie Anträge nicht zu einem Tagesordnungspunkt vereint, also Für und Wider zum Thema? Den einen Standpunkt ohne den anderen zum selben Thema als Tagesordnungspunkt zu stellen ist jedenfalls kein methodisches (oder gar demokratisches?) Vorgehen und keine Grundlage für eine informierte Diskussion und hat eher „Gschmäckle“.

    4. Wenn man die freiwillige Kassenleistung „Homöopathie“ derart ablehnt, kann man die Kasse wechseln.

    5. In diesem Antrag will man „Förderung von Präventionsansätzen, die den Zusammenhang zwischen Umwelt, Klima und Gesundheit berücksichtigen und gezielt entsprechende Schutzmaßnahmen ermöglichen“.
    Ja gerne doch, aber was hat das mit Homöopathie zu tun, außer, dass diese in der Produktion, Anwendung und Entsorgung nicht umwelt/klima/gesundheitsschädlich und vergleichsweise preiswert ist?

    6. Wahlfreiheit in der Behandlung, Mündigkeit der Menschen, Pluralismus der Wissenschaften; all das sollte eigentlich u.a. allen demokratischen Parteien wichtig sein, auch den Grünen.
    Aber alles, was nun als „Argument“ hingestellt wird ist: „Für homöopathische Behandlungen und Präparate konnte bislang keine belastbare Evidenz für eine über den Placeboeffekt hinausgehende Wirksamkeit nachgewiesen werden.“ Dies stimmt nicht. Der ähnlich lautende Titel einer alten Metastudie, die früh schon wegen methodischer Mängel kritisiert wurde, klang dann aber anscheinend doch wie ein Ohrwurm zum immer wieder vor sich hinsagen, oder? Es gibt genügend publizierte gute Studien und Metastudien (man muss ja auch mal hinschauen), die für die Homöopathie sprechen und vor allem: Klinische Erfahrung.
    Evidenz basierte Medizin stützt sich auf drei Säulen: die individuelle klinische Erfahrung, die Werte und Wünsche der Patient*innen und den aktuellen Stand der klinischen Forschung.
    Alles gegeben.

    Zum Thema „Warum brauchen wir wissenschaftlichen Pluralismus in der Medizin?“ gibt es ein klares Positionspapier der Hufelandgesellschaft:
    hufelandgesellschaft.de/fileadmin/Dokumente/Position_Hufelandgesellschaft_Wissenschaftspluralismus.pdf

  2. Ich freue mich über das große Interesse an diesem (und vielen anderen) Artikeln. Bitte beachten Sie unbedingt die Kommentarregeln des Homoeopathiewatchblog (Link https://wp.me/PagN8d-2Ct). Besonders möchte ich darauf hinweisen: „Ich gestatte keine Diskriminierung, Beleidigung oder Diffamierung von Menschen und Gruppen,“ dazu gehört natürlich auch die Partei der Grünen und ihre Mitglieder. Kritik an den Grünen muss sachlich bleiben. Wenn ein Kommentar einfach beleidigend oder diskriminierend oder diffamierend gegen die Grünen ist, schalte ich ihn nicht frei.
    Danke für Ihr Verständnis
    Christian J. Becker, Redakteur Homoeopathiewatchblog

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