Am 22. Oktober haben die Mitglieder von Bündnis 90/Die Grünen eine möglicherweise richtungsweisende Entscheidung getroffen. In einer parteiinternen Online-Abstimmung votierte die Mehrheit der 170.000 Parteimitglieder deutlich dafür, dass auf dem kommenden Parteitag nur ein Antrag gegen Homöopathie und Anthroposophie behandelt wird – und nicht der Gegenantrag, der sich für die Komplementärmedizin ausspricht.
Die Entscheidung kam überraschend klar zustande. Die Parteimitglieder konnten über 75 Anträge aus der Rubrik „Verschiedenes“ abstimmen – darunter auch über Homöopathie – und aus ihnen sechs Topthemen auswählen. Der Antrag gegen Homöopathie landete dabei auf Platz zwei der sechs Topthemen und wird Ende November auf dem Parteitag in Hannover verhandelt und beschlossen. Es ist das erste Mal, dass sich die gesamte Mitgliedschaft so deutlich gegen Homöopathie positioniert hat – nicht ein Parteigremium oder eine Arbeitsgruppe, sondern die Basis selbst.
Das Thema ist mittlerweile auch Thema für die Medien: Die Zeitschrift Der Focus titelt: https://www.focusplus.de/politik/homoeopathie-sturmwarnung-an-globuli-front-vor-gruenen-parteitag-6599
Das sind die sechs Themen, die die 170.000 Grünen-Mitglieder auf dem Parteitag sehen möchten (Quelle: Antragsbuch der Grünen, Stand 27.10.):
Wie kam es zu dieser Entscheidung?
Seit Jahren ist die Anti-Homöopathie-Diskussion ein immer wiederkehrendes Thema auf Grünen-Parteitagen, meist begleitet von emotionalen Debatten. Bisher einigte man sich jedoch regelmäßig darauf, die Anträge nicht zur Abstimmung zu bringen, da die Positionen als zu kontrovers galten. Diesmal ist das anders: Erstmals haben die Mitglieder vorab entschieden, dass der Antrag gegen Homöopathie in die Tagesordnung aufgenommen und behandelt werden muss.
Auslöser der aktuellen Entwicklung war eine innerparteiliche Diskussion mit der Triebfeder Anti-Homöopathie-Lobby, die im Herbst an Fahrt gewann. Bereits im September (Link) hatte ich im Homoeopathiewatchblog darauf hingewiesen, dass sich die Stimmung in der Partei gegen Homöopathie wandelt und ein Anti-Antrag droht. Nach dem Lesen des Artikels startete eine Heilpraktikerin aus Norddeutschland gemeinsam mit weiteren Unterstützern eine Aktion, die in einem Parteitagsantrag für die Homöopathie durch einen Arzt für Homöopathie mündete, wie sie mir bestätigte (Link). Unterstützt wurde dieser Antrag unter anderem vom „grünen“ Minister aus BW Manfred Lucha und vom früheren Berliner Ärztekammerpräsidenten Ellis Huber. Doch das Mitglieder-Votum fiel klar gegen diesen Vorschlag aus – und machte damit den Weg frei für den Gegenantrag.
Was steht im Antrag?
Der Anti-Homöopathie-Antrag, der nun auf dem Grünen-Parteitag ab 28. November diskutiert wird, zählt zu den weitreichendsten seiner Art. Er geht sogar über die Anträge von Minister Karl Lauterbach 2024 oder des SPD-Parteitags 2025 hinaus. Der Antrag fordert, dass Homöopathie künftig nicht mehr als freiwillige Leistung der gesetzlichen Krankenkassen anerkannt wird. Darüber hinaus will er den sogenannten Binnenkonsens für homöopathische und anthroposophische Arzneimittel aufheben – ein Schritt, der in der Konsequenz einem Apothekenverbot und Abschaffung des Arzneimittelstatus gleichkäme.
Bedeutung und Folgen
Der Parteitag der Grünen, der am 28. November in Hannover beginnt, könnte damit zu einem Wendepunkt in der gesundheitspolitischen Positionierung der Partei werden. Noch nie waren die Grünen so nahe davor, eine Anti-Homöopathie-Stimmung in der Partei in einem Parteitagsbeschluss zu konkretisieren. Zwar sind die Grünen derzeit nicht Teil der Bundesregierung, doch Beschlüsse des Parteitags sind für künftige Regierungsbeteiligungen bindend. Ein klares Votum gegen Homöopathie und Anthroposophie hätte also auch praktische Folgen, etwa bei der Ausgestaltung des Gesundheitssystems oder der gesetzlichen Krankenversicherung.
Diese Forderungen hätten spürbare Auswirkungen: auf Patientinnen und Patienten, auf Ärztinnen, Heilpraktiker, Hersteller und Apotheken. Auch die Anthroposophie wäre unmittelbar betroffen.
Eine Ausgrenzung bei der GKV hätte direkte Auswirkungen auf Patienten und Ärzte. Aber es würde auch dafür sorgen, dass insgesamt weniger Homöopathie angewendet wird, was wiederum auch die Hersteller betrifft.
Ein Apothekenverbot und die Abschaffung als Arzneimittel würden Patienten, Ärzte, Heilpraktiker und Hersteller direkt betreffen. Und der Grünen-Antrag beschreibt nicht nur die Homöopathie, sondern auch die Anthroposophie als Zielrichtung.
Was kann die Homöopathie-Gemeinschaft tun?
Folgende fünf Aktionen sind wirkungsvoll und realistisch. Für sie habe ich bereits im September geworben habe (Link):
- Die Homöopathie-Gemeinschaft sollte das Problem und die möglichen Folgen realistisch einschätzen. Das hat sich schon im Sommer beim SPD-Antrag bewährt.
- Verbände der Homöopathie können ihre politischen Kontakte im Bundestag aktivieren und sachliche Überzeugungsarbeit leisten.
- Organisationen der Komplementärmedizin könnten zu gemeinsamen Aktionen aufrufen, z.B. Protestschreiben mit Anschreiben und Adressen an die Landesverbände und Delegierten der Grünen, die im November abstimmen. Denkbar wäre auch eine Petition, um öffentlichen Druck auf den Parteitag aufzubauen. Beide Methoden haben schon bei Lauterbach und dem SPD-Antrag im Sommer gut funktioniert.
- Jeder der Homöopathie-Gemeinschaft kann sich bei den beschriebenen Aktionen (Punkt 3: Brief und Petition) mit wenig Aufwand beteiligen.
- Die Antragsteller des Pro-Homöopathie-Antrags können Gegenanträge/Änderungsanträge auf und für den Parteitag einbringen.
Ausblick
In den vergangenen Jahren ist es der Homöopathie-Gemeinschaft bereits mehrfach gelungen, politische Gegeninitiativen abzuwehren – etwa bei Anträgen der SPD 2025 und von Gesundheitsminister Lauterbach 2024. Grundlage des Erfolgs war, dass die Gemeinschaft erstens die Situation realistisch einschätzte und zweitens politisch und öffentlich aktiv geworden ist.
Der Parteitag Ende November wird zeigen, ob die Grünen tatsächlich einen Kurswechsel per Parteitagsbeschluss vollziehen wollen. Ich bin mir sicher, dass es der aktiven Homöopathie-Gemeinschaft erneut gelingen wird, gute und erfolgreiche Überzeugungsarbeit zu leisten.
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