Politiker müssten Anwender der Homöopathie eigentlich lieben, denn diese nennen in einer neuen Studie die Eigenverantwortung für ihre Gesundheit als ein wesentliches Motiv für Einnahme der Globuli. Ein Motiv, das Politiker immer wieder fordern. Das zweite Motiv dürfte Politikern weniger gefallen: Unzufriedenheit mit der Schulmedizin. Die im September veröffentlichte Studie befragte Patienten in Deutschland zu ihren Motiven für die Anwendung von Homöopathie und Komplementärmedizin. Hier die Details:
Die qualitative Interviewstudie „Exploring traditional, complementary, and integrative medicine (TCIM) users in Germany: Insights into characteristics and identities“ (Jeitler et al. 2025) untersucht die Erfahrungen und Motivationen von Nutzerinnen und Nutzern komplementärer und traditioneller Medizin in Deutschland. Befragt wurden zwanzig Patientinnen und Patienten zweier TCIM-Ambulanzen der Charité in Berlin. Die 20 Teilnehmer (17 Frauen, drei Männer, durchschnittlich 62 Jahre alt) berichteten über ihre Gesundheitsauffassungen, die Rolle komplementärer Verfahren in ihrer Behandlung sowie ihr Verhältnis zur konventionellen Medizin.
Ergebnisse der Studie
Naturheilkunde war für die befragten Patienten der vertrauteste Begriff, den sie mit einem ganzheitlichen Verständnis von Gesundheit verbanden, das körperliche, psychische, soziale und spirituelle Dimensionen einschließt. Begriffe wie „komplementäre“ oder „integrative“ Medizin waren weniger verbreitet, wurden jedoch überwiegend positiv bewertet. Häufig genutzte Verfahren waren Akupunktur, Homöopathie, Ernährungs- und Diättherapien, Ayurveda, Phytotherapie sowie verschiedene Entspannungs- und Körperübungen. Komplementärmedizin kam überwiegend bei chronischen Erkrankungen zum Einsatz, weniger bei akuten medizinischen Notfällen.
Als wichtigste Motive für die Nutzung komplementärer Verfahren nannten die Befragten Eigenverantwortung für ihre Gesundheit sowie Unzufriedenheit mit der konventionellen Medizin. Insbesondere kritisierten sie die als unpersönlich empfundene, symptomorientierte Herangehensweise sowie die mangelnde Zeit und Zuwendung der behandelnden Ärzte. Hinzu kamen persönliche Einflüsse und Einstellungen wie familiäre Prägungen, Werte wie Natürlichkeit und Ganzheitlichkeit sowie persönliches Interesse an nicht-konventionellen Heilweisen. Die Patienten beschrieben sich als gut informiert, aktiv und kritisch gegenüber medizinischen Empfehlungen. Viele von ihnen recherchierten eigenständig, trafen selbstbestimmte Therapieentscheidungen und sahen sich als aktive Mitgestalter ihres Heilungsprozesses. Dieses Streben nach Autonomie war oft mit Kritik am Gesundheitssystem verknüpft, etwa in Bezug auf Hierarchien und wirtschaftliche Zwänge in der gesetzlichen Krankenversicherung.
Patienten wollen Komplementärmedizin – und Schulmedizin
Das Gesundheitsverständnis der Befragten war stark ganzheitlich geprägt. Gesundheit wurde als ausgewogener Zustand von Körper, Geist, Seele und sozialem Umfeld beschrieben. Heilung wurde als gemeinschaftlicher Prozess zwischen Patient und Therapeut angesehen. Zuwendung, Vertrauen und offene Kommunikation wurden dabei als entscheidende Faktoren angesehen. Viele betonten, dass sie die Wirksamkeit von Therapien anhand eigener Körpererfahrungen beurteilen. Entsprechend spielte die erlebte Verbesserung eine zentrale Rolle. Gleichzeitig wurde die Schulmedizin nicht grundsätzlich abgelehnt: Die meisten Patienten sahen traditionelle und komplementäre Medizin als Ergänzung zur konventionellen Versorgung, insbesondere in akuten Situationen. Sie berichteten von meist guten Beziehungen zu ihren Hausärztinnen und Hausärzten, während sie ihre Fachärzte häufiger als skeptisch erlebten.
Die Befragten berichteten überwiegend von Akzeptanz oder wachsender Offenheit gegenüber Komplementärmedizin im sozialen Umfeld; vereinzelte Stigmatisierungserfahrungen im Freundes- oder Bekanntenkreis blieben die Ausnahme. Viele nutzten Komplementärmedizin wie homöopathische Arzneimittel auf eigene Kosten, wodurch ihre Doppelrolle als Patienten und Konsumenten deutlich wurde. Gleichzeitig kritisierten sie die unzureichende Kostenübernahme durch die Krankenkassen und wünschten sich eine bessere Integration komplementärer Angebote in das Gesundheitssystem.
Zusammenfassend zeigen die Ergebnisse laut Studie, dass Anwender von Homöopathie und Komplementärmedizin in Deutschland aktive und reflektierte Patienten sind. Sie gestalten ihre Gesundheitsversorgung bewusst und wünschen sich eine stärkere Verbindung zwischen konventionellen und komplementären Verfahren. Eine Versorgung, die auch psychosoziale Aspekte berücksichtigt und Patienten als Partner einbezieht, könnte laut den Forschern zu mehr Zufriedenheit und einer besserer Versorgung beitragen.
Quelle der Studie: Michael Jeitler, Mike Sigl, Robert Frank, Miriam Ortiz, Tido von Schoen-Angerer, Manfred Wischnewsky, Benno Brinkhaus, Andreas Michalsen, Christian S. Kessler, Exploring traditional, complementary, and integrative medicine (TCIM) users in Germany: Insights into characteristics and identities – Results from a qualitative interview study, Complementary Therapies in Clinical Practice, Volume 61, 2025, 102022, ISSN 1744-3881, https://doi.org/10.1016/j.ctcp.2025.102022. (https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S1744388125000878)
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