Heilpraktiker

Regierungsbeauftragter unterstellt Antisemitismus bei Heilpraktikern und Homöopathen, wenn diese Schulmedizin und Corona-Politik kritisieren  /  Heilpraktiker-Dachverband DDH geht gegen Äußerung vor

Heilpraktiker und Homöopathen sehen sich seit Jahren einer Kampagne der Anti-Komplementärmedizin-Lobby ausgesetzt, die beide Berufe verbieten lassen will. Die Methoden der Lobby reicht von der Studien-Verunglimpfung bis hin zu Nazi-Vergleichen. Nachdem die Lobby ihre Anti-Kampagne über Social Media gestartet und über die Medien verbreitet hat, ist die Kampagne nun bei der Politik angekommen. Die Bundesregierung will Heilpraktiker und Homöopathen stärker regulieren, wie die aktuelle Kampagne des Gesundheitsministers gegen die Homöopathie zeigt. Dabei übernimmt die Regierung nicht nur die Ziele der Anti-Komplementärmedizin-Lobby, sondern inzwischen auch deren fragwürdige Methoden, wie das folgende Beispiel zeigt. Der Dachverband Deutscher Heilpraktikerverbände (DDH) lässt sich das nicht widerspruchslos gefallen und geht dagegen vor.

Anlässlich des Holocaust-Gedenktages im Januar führte eine Regionalzeitung ein Interview mit dem Beauftragten der Bundesregierung für Antisemitismus, Felix Klein. Das Interview enthält zahlreiche Passagen zum Thema Heilpraktiker und Homöopathie und erschien am 27.01.2024 im Schwäbischen Tagblatt. Der interviewte Regierungsbeauftragte, der beim Innenministerium angesiedelt ist, hat das Thema Heilpraktiker und Homöopathie von sich aus angesprochen. Er spannt den Bogen vom Heilpraktikergesetz über die Kritik an den Corona-Maßnahmen der Regierung bis hin zu Demonstrationen gegen die Regierung. Das Fazit des Regierungsbeauftragten: Er sieht eine „Anschlussfähigkeit von antisemitischen Narrativen“, wenn jemand an der Schulmedizin zweifelt und die Corona-Maßnahmen der Regierung kritisiert. Ausdrücklich nennt der Regierungsbeauftragte in diesem Zusammenhang Heilpraktiker und Homöopathie. Und der Regierungsbeauftragte geht noch einen Schritt weiter. Da das Heilpraktikergesetz aus dem Jahr 1939 stamme, müssten die Heilpraktiker „ihre Vergangenheit kritisch reflektieren“. (Red. Hinweis: Das Interview mit den Passagen zu Heilpraktikern und Homöopathie finden Sie im Anhang dieses Artikels).

Der Dachverband Deutscher Heilpraktikerverbände (DDH) protestiert am 13.2.2024 mit einem offenen Brief an den Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung, Felix Klein, der dem Heilpraktiker-Newsblog vorliegt. Die Sprecherin und Vizepräsidentin des Dachverbandes, die Heilpraktikerin Ursula Hilpert-Mühlig, zeigt sich in dem Schreiben „mehr als erschüttert“ über die Aussagen im Interview, insbesondere über die Einordnung des Berufsstandes in einen antisemitischen Kontext: „Sie bedienen hier das manipulative Muster des Framings, indem Sie Ereignisse, Themen und Personengruppen in einem Deutungsraster zusammenfügen, obendrein gekoppelt mit wertenden Aussagen, und implizieren damit Verbindungen, die Sie mit nichts belegen, außer Ihren Behauptungen – das ist schon sehr dreist.“ Klein stigmatisiere mit seinem Interview eine ganze Berufsgruppe und diskreditiere den Berufsstand der Heilpraktiker, so der DDH: „Heilpraktiker ist keine Gesinnung, sondern eine Berufsbezeichnung.“ Der Brief kritisiert auch die historisch falsche Darstellung der Entstehung und Intention des Heilpraktikergesetzes durch den Antisemitismusbeauftragten. Der DDH hält „eine Klärung für dringend geboten, zumal das Diffamierungspotential“ der Äußerungen des Antisemitismusbeauftragten offensichtlich sei. Der Verband erwarte „Vorschläge für einen zeitnahem Austausch“ von Felix Klein. (Red. Hinweis: Den offenen Brief des DDH finden Sie in voller Länge im Anhang dieses Artikels).

Kontaktinformationen:

Wenn auch Sie dem Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung Felix Klein Ihre Meinung mitteilen möchten, können Sie ihn über diese offiziellen Kontaktmöglichkeiten des Bundesinnenministeriums erreichen, dem er unterstellt ist. Sie können natürlich Ihre Meinung/Brief als Kommentar unter diesem Artikel veröffentlichen.

Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus / Bundesinnenministerium
Herrn Felix Klein
Alt-Moabit 140
10557 Berlin
Telefon: +49 30 18 681-11047
E-Mail: BAKlein@bmi.bund.de
Internet: www.bmi.bund.de

Hintergrundinformationen:

Der Dachverband Deutscher Heilpraktikerverbände e.V. (DDH) mit Sitz in Bonn ist der einzige Dachverband für Heilpraktiker*innen mit uneingeschränkter Erlaubnis zur Heilkundeausübung. Er vertritt die Interessen seiner bundesweit tätigen Mitgliedsverbände und ist Ansprechpartner für Politik, Medien, Versicherungen und andere Gesundheitsberufe. Die Mitgliedsverbände des DDH bestellen und finanzieren u.a. die Arzneimittelkommission der deutschen Heilpraktikerverbände (AMK) und die Gebühren- und Sachverständigenkommission (GSK) deutscher Heilpraktiker*innen. 

Foto: BMI, Henning Schacht

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Quellen/Anhang: 

Offener Brief des Dachverband Deutscher Heilpraktikerverbände e.V. (DDH)

„Offener Brief an Dr. Felix Klein

Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus
Alt-Moabit 140
D-10557 Berlin
Per E-Mail: BAKlein@bmi.bund.de       

13. Februar 2024

Sehr geehrter Herr Dr. Klein,

wir beziehen uns auf das Interview, das Sie am 27.01.2024 dem Schwäbischen Tagblatt Tübingen gegeben haben. Anlass war Ihre Teilnahme zum Holocaust-Gedenktag, zu dem Sie einen Vortrag an der Eberhard-Karls-Universität hielten. In diesem Interview sprachen Sie über die AfD, deutsche Erinnerungskultur, das Heilpraktikergesetz und darüber, wo die Grenzen zwischen Antisemitismus und Kritik an israelischer Politik verlaufen.

In Ihrem Vortrag wurden Sie u.a. nach Spuren der NS-Gesetzgebung, das heißt nach Gesetzen aus der Zeit des Nationalsozialismus,  gefragt, die heute noch in Kraft sind. Sie haben dazu als einziges Beispiel das Heilpraktikergesetz genannt.
Originaltext von Ihnen: „Zum Beispiel ist das Heilpraktikergesetz von 1939 immer noch in Kraft. Die Nazis waren Menschen, die der so genannten Schulmedizin sehr kritisch gegenüberstanden. Die galt ihnen als ‚verjudet‘. Sie wollten Homöopathie und Heilpraktiker als neue, der Naziideologie nahe, Berufe privilegieren. Diese Absicht liegt dem Heilpraktikergesetz zugrunde.“

Frage: Wie sähe ein guter Umgang damit aus?
Ihre Antwort: „ Es wäre doch gut, wenn dieser Berufsstand die problematische Genese dieses Gesetzes aufnähme, um dann die eigene Vergangenheit kritisch zu reflektieren.“

Frage: Zweifel an der Schulmedizin haben auch bei den Corona-Leugnern eine Rolle gespielt; glauben Sie, dass es da eine Anschlussfähigkeit von antisemitischen Narrativen gibt?
Ihre Antwort: „ Es ist anschlussfähig. Ich möchte niemandem, der den Beruf des Heilpraktikers ausübt, so etwas unterstellen. Trotzdem muss man sehen: Eine der Hauptverantwortlichen, die damals den so genannten Sturm auf den Reichstag angeführt hat, war eine Heilpraktikerin.“ 

Als Dachverband Deutscher Heilpraktikerverbände e.V., einem Zusammenschluss großer, bundesweit tätiger Berufsverbände, sind wir von Ihren Aussagen mehr als erschüttert.
Zum einen, weil insbesondere die Entstehung des Heilpraktikergesetzes völlig an der Historie vorbeigeht. Zum anderen Ihre Einordnung des Berufsstandes in einen antisemitischen Kontext.

Für Ihre Behauptung, das Heilpraktikergesetz sollte „Homöopathie und Heilpraktiker als der Naziideologie nahe Berufe privilegieren“ verlangen wir den Quellennachweis, dem Sie das entnehmen konnten. 

In allen, dieser Thematik zugänglichen Archiven ist vermerkt, dass das Gesetz insbesondere auf Betreiben des Reichsärzteführers Gerhard Wagner entstanden ist.

Dieser erklärte 1937, die Duldung der Heilpraktiker sei mit dem Grundgedanken des Nationalsozialismus unvereinbar, nur der ärztliche Beruf könne die charakterliche Eignung zur Ausübung der Heilkunde gewährleisten. So entstand 1939 das Heilpraktikergesetz unter seinem maßgeblichen Einfluss. 

Wenn Sie das Gesetz in seiner Originalfassung gelesen haben sollten, hätte Ihnen auffallen müssen, dass es eine Existenz des Heilpraktikerstandes bestätigt, der aber mittels dieses Gesetzes abgeschafft werden sollte. Erreicht sollte das werden mit dem Verbot, Schulen und Ausbildungsstätten zu betreiben, sowie die Ausübung des Berufes nur in „besonders begründeten Ausnahmefällen“ zu gewähren.
Nachzulesen u.a. in dem Rechtsgutachten zum Heilpraktikerrecht, das Prof. Christof Stock im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit verfasst hat. 

Nach dem Ende der Nazi-Herrschaft wurden alle Passagen, die nicht mit dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland vereinbar waren, aus dem Gesetz genommen. In dieser Form hat es als Berufszulassungsgesetz – nicht als Berufsgesetz – weiterhin Bestand. Wir gehen davon aus, dass Ihnen der Unterschied geläufig ist. Denn das wäre eine Voraussetzung, damit Sie Ihren Umgang mit dem Heilpraktikergesetz kritisch reflektieren und sich mit seiner heutigen, mit dem Grundgesetz vereinbaren Form vertraut machen. 

Greifen wir noch die aus Unterstellung und Frage zusammengewürfelte Formulierung der Interviewer auf. Zum einen werden Zweifel an der Schulmedizin bei Corona-Leugnern ausgemacht, die dann nahtlos zu einem antisemitischen Narrativ überführt werden.
Zunächst ist es sehr gewagt, Menschen, die beispielsweise kritisch mit schulmedizinischen Ansichten umgehen, auch gleich eine Anfälligkeit für antisemitisches Gedankengut zu unterstellen.
Und dann bringen Sie in diesem Kontext sofort wieder Heilpraktiker ins Spiel; und als „Beweis“ eine einzelne Heilpraktikerin, die den deutschen Reichstag stürmen wollte.

Was bitte wollen Sie damit sagen? Heilpraktiker zweifeln an der Schulmedizin, sind damit auch gleich Corona-Leugner, was zu antisemitischen Gedankengut führt, das dann im Sturm einer einzelnen Heilpraktikerin auf den deutschen Reichstag mündet?  

Sie bedienen hier das manipulative Muster des Framing, indem Sie Ereignisse, Themen und Personengruppen in einem Deutungsraster zusammenfügen, obendrein gekoppelt mit wertenden Aussagen, und implizieren damit Verbindungen, die Sie mit nichts belegen, außer Ihren Behauptungen – das ist schon sehr dreist.

Comedians benutzen häufig solche Koppelungen, packen Fakten unreflektiert in wertende Aussagen; Hauptsache medienwirksam und Aha-Effekt erzeugend.
Sie aber sind von der Bundesregierung berufen in eine Position, die eigentlich gegen Diffamierung und Verunglimpfung von Personen und Bevölkerungsgruppen gerichtet sein sollte.
Stattdessen stigmatisieren Sie durch zum Teil sehr fragwürdige Aussagen eine ganze Berufsgruppe.

Heilpraktiker ist keine Gesinnung, sondern eine Berufsbezeichnung. Der Beruf stellt kein wie auch immer geartetes Milieu dar – ebenso wenig wie Berufsangehörige von Ärzten/Zahnärzten, Rechtsanwälten, Handwerkern u.a. – die  beispielsweise ebenfalls gegen die staatlich verhängten Einschnitte des sozialen Lebens während der Corona-Pandemie protestiert haben.

Es scheint offensichtlich, dass Sie gegenüber der Berufsgruppe Heilpraktiker eigene Ressentiments pflegen und diese mit Ihren unstrukturierten Verknüpfungen insgesamt diskreditieren.

Und das nicht zum ersten Mal. Wir erinnern an Ihre Bundespressekonferenz vom 24.11.2020, bei der Sie Heilpraktiker anlässlich einer vom Grundgesetz gedeckten Demonstration gegen die Corona-Verordnungen in einen Kontext setzten mit Reichsbürgern und offen Rechtsextremen. Auch damals wurden Sie mit diesen diskriminierenden Aussagen konfrontiert. Sie behaupteten zwar, eine solche Wirkung nicht beabsichtigt zu haben – öffentlich korrigiert haben Sie Ihre Äußerung jedoch nicht. 

Und was haben Sie dieses Mal nicht beabsichtigt? 

Wir halten eine Klärung für dringend geboten, zumal das Diffamierungspotential Ihrer Äußerungen offensichtlich ist.

Wir erwarten Ihre Vorschläge zu einem zeitnahen Austausch und verbleiben bis dahin

mit freundlichen Grüßen

Ursula Hilpert-Mühlig

Präsidentin des Fachverband Deutscher Heilpraktiker e.V.

2. Vorsitzende und Sprecherin des Dachverband Deutscher Heilpraktikerverbände e.V.

Geschäftsstelle: Dachverband Deutscher Heilpraktikerverbände e.V. (DDH)

Maarweg 10

D-53123 Bonn

Tel: 0228 / 96289900

E-Mail: info@ddh-online.de

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Artikel aus Tageszeitung „Schwäbisches Tagblatt“, erschienen am 27.1.2024

Interview des Tagblatts mit Felix Klein, Antisemitismusbeauftragter der Bundesregierung. 

Hier die Auszüge des Interviews, die sich auf das Thema Heilpraktiker beziehen:

… Tagblatt: In Ihrem Vortrag an der Uni ging es um die Spuren der NS-Gesetzgebung. 

Regierungsbeauftragter: Im Grundgesetz gibt es den Artikel 125. Der regelt die Weitergeltung des Rechts, das vor 1945 in Deutschland galt. Und es gibt heute noch etwa 30 Gesetze, die in der Zeit zwischen 1933 und 1945 erlassen wurden, die noch in Kraft sind und über diesen Artikel 125 Geltung haben. Diese Gesetze haben alle den Makel, dass sie nicht parlamentarisch beraten wurden. 

Tagblatt: Was sind das zum Beispiel für Gesetze? 

Regierungsbeauftragter: Zum Beispiel ist das Heilpraktikergesetz von 1939 immer noch in Kraft. Die Nazis waren Menschen, die der so genannten Schulmedizin sehr kritisch gegenüberstanden. Die galt ihnen als „verjudet“. Sie wollten Homöopathie und Heilpraktiker als neue, der Naziideologie nahe, Berufe privilegieren. Diese Absicht liegt dem Heilpraktikergesetz zu Grunde. 

Tagblatt: Wie sähe ein guter Umgang damit aus? 

Regierungsbeauftragter: Es wäre doch gut, wenn dieser Berufsstand die problematische Genese dieses Gesetzes aufnähme, um dann die eigene Vergangenheit kritisch zu reflektieren. 

Tagblatt: Zweifel an der Schulmedizin haben auch bei den Corona-Leugnern eine Rolle gespielt: Glauben Sie, dass es da eine Anschlussfähigkeit von antisemitischen Narrativen gibt? 

Regierungsbeauftragter: Es ist anschlussfähig. Ich möchte niemandem, der den Beruf des Heilpraktikers ausübt, so etwas unterstellen. Trotzdem muss man sehen: Eine der Hauptverantwortlichen, die damals den sogenannten Sturm auf den Reichstag angeführt hat, war eine Heilpraktikerin. …


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Ein Kommentar

  1. Man merkt Herrn Klein deutlich an, dass er die historischen Entwicklungsphasen der Heilpraktiker und der Homöopathie nur ungenau kennt oder diese bewußt ignoriert
    um persönlichen Zielen zu folgen die der Entwicklung seiner politischen Laufbahn
    nützlich sein könnten.
    Insgesamt ein ziemlich armselig.

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